Zwei Personen stehen am Schalter eines Bürgerbüros.

Von Amts wegen zu neuen Amtswegen

Veröffentlicht am 29.06.2023

 

Überlastete Wartenummernautomaten – schon bald Relikte der Vergangenheit, wenn ein neuer Personalausweis oder ein Führungszeugnis gefragt sind? Welche Angebote jenseits der bekannten Vor-Ort-Behördentermine können Ämter und Behörden physisch und digital schon heute machen, und welche werden noch folgen?

Wandel von Bürgerservices – für eine Gesellschaft im Wandel

Wo Einwohnerzahlen merklich sinken, wird das Durchschnittsalter in den kommenden 15 Jahren enorm ansteigen. So sagt es die Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) von März 2021. Mit der Demografie wandeln sich die regionalen Arbeitsmärkte – was wiederum die sozialen Sicherungssysteme auf die Probe stellt. Die Kommunen stehen allerdings noch vor einer ganz anderen Herausforderung: Eine geringere Bevölkerungsdichte heißt bei chronisch angespannten Haushalten auch weniger Bürgerämter.

Die Verwaltungsdigitalisierung nach dem Onlinezugangsgesetz ist hier nur ein Teil der Lösung. Denn nicht alle Einwohner hierzulande können oder wollen E-Government-Dienste nutzen. Die Kommunen sind also mit Bürgeramts-Alternativen für die analoge Welt gefordert, insbesondere, wenn es um wichtige Dokumente wie den Personalausweis geht. Und sie liefern. Ob als Pilotprojekt oder bereits fest etabliert – immer öfter schaffen mobile Angebote Abhilfe, wo der Weg zur Behörde nicht ohne Weiteres möglich ist.

Der Bürgerkoffer

In der Presse wird er als „Bürgerbüro to go“ und „rollendes Rathaus“ bezeichnet: Der sogenannte Bürgerkoffer ist etwa 16 Kilogramm schwer und kommt zu vorab kommunizierten Sammelterminen in Krankenhäuser, Bibliotheken oder Pflegeeinrichtungen. Mobilitätseingeschränkte Menschen können Hausbesuche anmelden.

Die Insassen von Justizvollzugsanstalten erhalten durch den Einsatz des Bürgerkoffers eine Gelegenheit zur Regelung von Verwaltungsangelegenheiten mit dem Ziel der frühzeitigen Resozialisierung. Mussten Inhaftierte bis vor wenigen Jahren beispielsweise Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen mit Vollmachten ausstatten, können sie sich nun durch den Einsatz des Bürgerkoffers in teilnehmenden Gefängnissen eigenständig auf ihren Alltag in Freiheit vorbereiten. Und auch bei kommunalen Verwaltungen und Gefängnisleitungen schafft der Service zusätzliche Kapazitäten. Rolf Jacob, Leiter der Justizvollzugsanstalt Leipzig, blickt durchweg zufrieden auf die Lösung: „Durch die Inbetriebnahme des Bürgerkoffers kann die JVA einen weiteren wichtigen Baustein im Zuge der Entlassungsvorbereitung der Inhaftierten zeitnah anbieten. Gleichzeitig wird durch die Nutzung des Bürgerkoffers die Sicherheit der Anstalt erhöht, da Ausführungen der Inhaftierten zu den entsprechenden Ämtern entfallen.“

Ausgestattet ist der Bürgerkoffer standardmäßig mit Notebook, Drucker, Scanner, Fingerabdrucksensor sowie einem Änderungsterminal. Für biometrische Fotos gibt es zudem eine Kamera mit Stativ. Die Dokumente, die sich beantragen und ausstellen lassen, reichen von Personalausweisen über Meldebescheinigungen bis hin zu Führungszeugnissen.

Wie wichtig der Bürgerkoffer sein kann, hat er bereits in einer akuten Krise unter Beweis gestellt: Nach der Jahrhundertflut im Ahrtal im Sommer 2021 sorgten mobile Teams in den besonders stark betroffenen Ortschaften mit dem Bürgerkoffer dafür, dass Menschen verlorene oder beschädigte Dokumente unkompliziert neu beantragen konnten.

Ausweisdokumente an „dritten Orten“

Der Bürgerkoffer mag das in Deutschland derzeit populärste und meistzitierte Beispiel für flexiblere Behördenservices sein. Aber auch in Kooperation mit anderen Anbietern von Vor-Ort-Dienstleistungen gilt immer häufiger: Kommen die Bürger und Bürgerinnen nicht mehr zur Verwaltung, kommt die Verwaltung zu ihnen. Bereits seit einigen Jahren integriert beispielsweise die Hamburger Sparkasse Verwaltungsservices in ihre Filialen. Die Kundschaft wird an der Elbe mit dem Führerschein-Umtausch und unter anderem der Abholung des Angelscheins – im Wortsinne – „geködert“. Weitere Sparkassen im gesamten Bundesgebiet ziehen nach – nicht zuletzt, um im Zeitalter des Online-Bankings neue Anreize für einen Vor-Ort-Besuch zu bieten.

In einer Filiale der Sparkasse KölnBonn im Kölner Stadtteil Rodenkirchen lief im Rahmen des Programms „Kundenzentren der Zukunft“ ein weiteres Pilotprojekt. Bürger und Bürgerinnen konnten einmal wöchentlich Verwaltungsleistungen mit der Abwicklung finanzieller Angelegenheiten verbinden – eine vorherige Terminvereinbarung mit den beiden Verwaltungsbeschäftigten im ersten Stock der Sparkassenfiliale vorausgesetzt.

„Unser Ziel ist es, die Leistungen der Kundenzentren näher zu den Kölner*innen zu bringen und ihnen dadurch kürzere Wege und einen besseren Service zu bieten.“

Stadtdirektorin Andrea Blome über die Zusammenarbeit mit der Sparkasse KölnBonn

Am Ende könnten Kooperationen wie diese zu einer „Win-win-Situation“ werden: Die Kreditinstitute in kommunaler Hand profitieren vom zusätzlichen Publikumsverkehr und die Kommunalverwaltungen können Termine in meist zentraler Lage anbieten. In Rodenkirchen jedenfalls wurden seit dem Start im Dezember 2022 jeden Dienstag mehrere Dutzend Anliegen bearbeitet.

Die Dokumentenausgabebox: Den neuen Ausweis rund um die Uhr abholen

In Köln, Hamburg oder im fränkischen Nürnberg haben Kooperationen mit Sparkassen inzwischen neue Formen des Austauschs zwischen Verwaltung und Bürgern und Bürgerinnen ermöglicht – allerdings begrenzt durch die Sprechstunden der Verwaltung und die Öffnungszeiten der Filialen an Werktagen. Was aber, wenn das bereits beantragte Ausweisdokument außerhalb der Geschäftszeiten, an Wochenenden oder Feiertagen dringend benötigt wird? In Orten wie Schwerin, Hannover, Kassel, Nürnberg oder St. Ingbert können Bürgerinnen und Bürger in solchen Fällen auf die „Dokumentenausgabebox“ (DokBox) vertrauen.

Die teilnehmenden Kommunen versenden einen sechsstelligen Code per SMS, sobald Pass oder Ausweis durch die Bundesdruckerei GmbH an die Stadtverwaltung übermittelt wurden und in einem der Fächer bereitliegen. Jetzt nur noch innerhalb von zehn Tagen zur DokBox, per PIN bzw. Fingerabdruck authentisieren, den alten Ausweis einwerfen und schon wird das neue Dokument ausgegeben. Ein Vorgang, der laut den Erfahrungen der Stadtverwaltung von Hannover in nicht mehr als einer Minute erledigt ist.

„Diese neue Ausgabebox ist ein weiterer Baustein unserer Digitalisierungsoffensive im Sinne eines kund*innenorientierten Bürgerservice. Für einige Menschen wird das flexible Angebot, sich außerhalb der Öffnungszeiten kostenfrei den Reisepass oder Personalausweis abzuholen, eine große Hilfe sein.“

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay

Ob als Pilotprojekt oder bereits etablierte Ausgabestelle: Für Rathäuser und Bürgerämter bedeuten Anschaffung und Unterhalt der DokBoxen in Zeiten ohnehin angespannter kommunaler Haushalte zusätzliche Kosten. Warum also nicht ohne Umwege direkt zur heimischen Haustür?

Behördendokumente per Fahrradkurierdienst oder Post

Offizielle Dokumente oder den neuen Pass nach Direktversand bequem an der eigenen Haustür in Empfang nehmen? Beim Führerschein ist das schon lange möglich. Einige Städte und Gemeinden haben diesen Service nun auf hoheitliche Dokumente ausgedehnt. Hier erfolgt eine sichere Zustellung von Personalausweisen und Pässen per Fahrradkurierdienst. Damit dieser sich in Bewegung setzt, braucht es jedoch eine Bestätigung per vorab postalisch zugesandter PIN.  Das abgelaufene Dokument nimmt der Kurier oder die Kurierin im Gegenzug wieder mit. „Das Angebot ist umweltbewusst und bietet […] außer der Zeitersparnis auch mehr Flexibilität“, sagt Hannovers Ordnungsdezernent Dr. Axel von der Ohe. „Nach Absprache kann man sich seinen Ausweis oder Pass auch am Arbeitsplatz zustellen lassen“

Die gebührenpflichtige Leistung wird in naher Zukunft auch auf dem herkömmlichen Postweg möglich sein. Und sie hat das Potenzial, nicht nur Bürger und Bürgerinnen, sondern auch Verwaltungen zu entlasten. Auf den Weg brachte die Neuerung das zuständige Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) mit einem Gesetzentwurf Ende März 2023. „Wir wollen einen digitalen Staat, der konsequent aus der Perspektive der Bürgerin und des Bürgers gedacht ist. Das heißt konkret: schnellere, digitale Verfahren. Damit machen wir das Leben der Bürgerinnen und Bürger leichter“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs.

Bereits 13-Jährige sollen nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesens die Online-Ausweisfunktion nutzen können. Bislang lag das Mindestalter hierfür bei 16. Weitere Vereinfachungen neben der Stärkung der Online-Ausweisnutzung und dem Postversand von Pässen, Personalausweisen und eID-Karten betreffen Vereinfachungen bei der Kommunikation zwischen Verwaltungen. Ein Schritt, der, zum Beispiel bei Ummeldungen und Wohnortwechseln, ebenfalls für die Bürger und Bürgerinnen spürbar wird, wenn das neue Gesetz nach Zustimmung durch den Bundesrat in der zweiten Jahreshälfte in Kraft tritt. Die Postversandoption wird also bald ihren festen Platz bei der Beantragung von Personalausweisen und Reisepässen haben. Dann entfällt mit der Abholung zumindest einer von bisher zwei nötigen Behördengängen.

Die genannten Beispiele zeigen es: Die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen nach dem OZG und die flexible Erreichbarkeit von Behördenservices vor Ort sind keine Gegensätze. Flexible, serviceorientierte Angebote können für bestimmte Zielgruppen die Digitalisierung sinnvoll ergänzen. Das „rollende Rathaus“ im Bürgerkoffer oder der rollende Ausweis per Fahrradkurierdienst sorgen dafür, dass persönliche Verwaltungsservices hoch im Kurs bleiben. Verändern wird sich jedoch auch in Zukunft die Art, wie und in welcher Form sie angeboten und wahrgenommen werden.

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