Das Gehirn als Hardware
Intelligenzforschung am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
Veröffentlicht am 05.09.2023
Um Künstliche Intelligenz weiter zu optimieren, müssen wir zunächst einmal natürliche Intelligenz decodieren.
Daran arbeitet Dr. Eric Schulz am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Obwohl er Statistiker und Informatiker ist, nähert er sich „unserer“ Intelligenz nicht nur über Algorithmen: Intelligenzforschung wird am Max-Planck-Institut interdisziplinär betrieben, Forschende aus Robotik, Neurowissenschaften und Psychologie arbeiten Hand in Hand. Ein Einblick in die Arbeit der Intelligenzforschung.
Interdisziplinärer Austausch
Ein Alltag zwischen MeetingMarathons, CodingSessions und Kaffeepausen: Der Erfolg von Schulz’ Forschung ist stark vom interdisziplinären Austausch abhängig. Fachleute aus Robotik, Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaften gehören zu seinen regelmäßigen Kooperationspartnern. “We get to play in everyone’s backyard“ – wir dürfen im Hinterhof aller spielen –, sagt Schulz, denn er liefert die Algorithmen, auf deren Basis Intelligenzforschung in anderen wissenschaftlichen Disziplinen durchgeführt wird.
Leiter der Forschungsgruppe „Computational Principles of Intelligence“ am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen.
Intelligenztests
„Zur mathematischen Beschreibung der Intelligenz gibt es noch wenig Erkenntnisse“, sagt Eric Schulz. Daher sieht er auch in klassischen Intelligenztests, wie sie in der Psychologie verwendet werden, noch viel Potenzial. „Wir wissen, dass Menschen solche Tests lösen können“, sagt Schulz. Wie und warum wir dazu in der Lage sind, ist allerdings noch nicht gänzlich erforscht. Daher führt er klassische Tests am PC durch, aber auch Versuche mit VirtualRealityBrillen, die die kontrollierte Erforschung komplexer Situationen möglich machen.
Das RoboLab
Künstliche Intelligenz kann von Kindern lernen, wissen Eric Schulz und sein Kollege Georg Martius vom RoboterLab des MaxPlanckInstituts für Intelligente Systeme in Tübingen. Um die zahlreichen Roboter weiter zu verbessern, beobachten die Forschenden Kindergartenkinder bei der Exploration – also beim Spielen. Denn während KI sich stets aus großen Datenmengen speist, brauchen Kinder nur wenige Informationen, um zu einem Ergebnis zu kommen. So starten sie ohne Anleitung damit, aus Bauklötzen einen Turm zu bauen – und diese Neugierde wünschen sich die Forschenden auch von ihren Robotern.
Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
„Die einzig bekannte Instanz im ganzen Universum, die intelligentes Verhalten zeigen kann, ist das Gehirn“, sagt Eric Schulz. In der funktionellen Magnetresonanztomografie (kurz fMRT) lösen Probandinnen und Probanden Intelligenztests. Im Kontrollraum sieht Schulz, welche Hirnareale bei Erfolg oder Enttäuschung aktiv sind. „Mit den Ergebnissen schaffen wir uns einen ‚Bauplan‘ des Gehirns für bestimmte Szenarien. Wir sind nicht nur an der Software und damit an den Algorithmen interessiert, sondern auch an der Hardware, nämlich dem Gehirn. Wenn wir dessen ‚Baupläne‘ verstehen, können wir diese auf KI übertragen.“
ChatGPT
Der Chatbot ChatGPT begeistert weltweit Millionen Menschen. Die Künstliche Intelligenz kann auf komplexe Fragen antworten, Gedichte schreiben und Klausuren lösen. Daher beschäftigt sich Schulz in seiner Arbeit viel mit dem Programm. Statt eine Frage nach der anderen einzugeben, hat er ein Programm geschrieben, das ChatGPT Tausende Fragen gleichzeitig stellt. Die Antworten nutzt er, um die Algorithmen des KI-Lernens besser zu verstehen. Ein vorläufiges Ergebnis: „Der Bot handelt bei vielen Aufgaben wie wir Menschen. Aber gerade wenn es um Neugierde und kausales Denken geht, versagt das Programm immer wieder.“
Ausblick
Natürliche und Künstliche Intelligenz analysieren, verstehen, vielleicht sogar kombinieren – wohin führt uns das? „Seit meiner Kindheit ist es mein Ziel, eine Intelligenz zu erschaffen, die nicht nur intelligent ist, indem sie uns die richtige Antwort gibt, oder eine, bei der das Suchergebnis am häufigsten übereinstimmt. Vielmehr soll die Intelligenz auch interessant sein. Sie soll kontroverse Meinungen haben, mit mir diskutieren können. Man soll sie kennenlernen wollen“, sagt Eric Schulz. Auch in der Forschung könne KI helfen. „Wenn wir alles richtig machen, können wir in 30 Jahren wirklich davon ausgehen, dass wir intelligente Systeme haben, die uns im täglichen Leben helfen, die wissenschaftliche Forschungsarbeiten schreiben und uns beim Klimawandel oder in der Medizin weiterbringen“, sagt Schulz. „Vielleicht werde dann nicht mehr ich interviewt – sondern eine Künstliche Intelligenz.“