Digitale Souveränität: Wer kann dazu beitragen?
Veröffentlicht am 07.08.2020
Digitale Souveränität erreichen – dieses Ziel wird in Deutschland und Europa aktuell intensiv diskutiert. Wir erläutern hier, wer dazu beitragen kann.
Selbstbestimmtheit der Gesellschaft
In den letzten Jahren hat sich eine intensive Debatte darüber entwickelt, was notwendig ist, um die digitale Gestaltungsfähigkeit des Staats zu stärken. Als Antwort darauf hat sich längst das Schlagwort „digitale Souveränität“ etabliert. Bei der Diskussion geht es um die Souveränität von Infrastruktur, Daten und Algorithmen, Hard- und Software und um Bildung. Es geht um die Selbstbestimmtheit unserer Gesellschaft. Dazu zählen der Staat, die Wirtschaft und die Bürger.
Staat
Eine wichtige Rolle kommt hierbei dem Staat zu: Er kann die Richtung vorgeben, indem er einen regulativen Rahmen und Förderschwerpunkte für den Ausbau der digitalen Souveränität setzt. Der Staat ist dafür zuständig, die nationale, öffentliche und soziale Sicherheit zu erhalten und eine starke Verhandlungsposition gegenüber anderen Staaten und Unternehmen zu schaffen. Zudem verantwortet er die Integrität der digitalen Infrastruktur. Damit ermöglicht er, Unternehmen und Bürger gleichermaßen zu schützen und zu befähigen.
Neben der nationalen digitalen Souveränität sollte auch die digitale Souveränität Europas ausgebaut werden. Das könnte dazu beitragen, den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum entsprechend zu entwickeln. Bei übergeordneten Themen – wie Datenschutz, IT-Sicherheit oder den digitalen Infrastrukturen – sollte die EU durch hohe, einheitliche Mindeststandards einen Rahmen vorgeben. Wenn erwünscht, könnten die einzelnen Mitgliedsstaaten dann noch höhere Standards setzen, beispielsweise bei der Bereitstellung von digitalen Identitäten oder Sicherheits- und Verschlüsselungstechnologien im hoheitlichen Interesse. Dieses Vorgehen würde garantieren, dass Weiterentwicklungen zeitnah realisiert werden und die EU nicht darauf warten muss, dass alle Mitgliedsstaaten kooperieren. Der Weg funktioniert aber auch andersherum. Am deutschen IT-Sicherheitsgesetz wurde deutlich, dass auch auf nationaler Ebene wichtige Schritte vollzogen werden können, die dann als Blaupause für weitere EU-Staaten wirken.
Digitale Souveränität ist komplex und weitreichend. Eine der wichtigsten Rahmenbedingungen, die der Staat dafür schaffen muss, ist IT-Sicherheit. Dies wird auch in der politischen Diskussion deutlich. So ist etwa Manuel Höferlin, Vorsitzender des Bundestagsausschusses „Digitale Agenda“ und digitalpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, der Ansicht, dass IT-Sicherheit „made in Europe“ einen wichtigen Beitrag zur physischen Resilienz der Systeme leistet. Deshalb müsse der Staat auch für handfeste Instrumente, wie ein Recht auf Verschlüsselung, sorgen. Eine effektive Verschlüsselung sei ein Grundpfeiler für die IT-Sicherheit und damit auch für die digitale Souveränität der Menschen und der Wirtschaft. Die Souveränität des Einzelnen über seine Daten müsse im Mittelpunkt stehen.
Allgemeiner Konsens ist, dass der Staat gut daran tut, Besonderheiten in Deutschland und Europa anzuerkennen und die jeweiligen Stärken zu fördern. So ist die deutsche mittelständische Wirtschaft viel heterogener als die anderer Länder. Entsprechend sollte eine Wirtschafts- und Innovationspolitik kleine und mittlere Unternehmen aktiv einbeziehen.
Wirtschaft
Die Wirtschaft spielt vor allem eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, konkurrenzfähig gegenüber anderen Marktteilnehmern zu bleiben bzw. zu werden. Sie kann neue Geschäftsmodelle entwickeln, Kerntechnologien wie Kryptografie, künstliche Intelligenz, Identifizierungs- und Biometrietechnologien erforschen sowie kritische digitale Infrastrukturen aufbauen. Um das zu schaffen, müssen die entsprechenden digitalen Schlüsseltechnologien in Deutschland und Europa verstanden, erhalten und, wenn nötig, aufgebaut werden. Hierbei gibt es eine Zweiteilung: Der Staat muss klar benennen, in welchen Bereichen er Forschungs- und Entwicklungsbedarf seitens der Wirtschaft sieht. Umgekehrt muss die Wirtschaft darauf vertrauen können, dass sie sich in einem klaren regulatorischen Rahmen bewegt. Zudem müssen die Grundlagen für technische Entwicklungen vorhanden sein und die neu entwickelten Lösungen auch angewendet werden.
Digitale Souveränität ist eng mit den Themen Hard- und Software verknüpft. So ist die Gesellschaft für Informatik (GI) davon überzeugt, dass digitale Souveränität in Deutschland und Europa nur gelingen wird, wenn der Softwarestandort signifikant gestärkt wird. Digitale Souveränität bedeute auch, bei Hard- und Softwarekomponenten mehrere Lösungen mit ähnlicher Leistungsfähigkeit zur Auswahl zu haben. Zudem müssten sie von bekannten, vertrauenswürdigen Instanzen bereitgestellt werden und die jeweiligen Funktionen und ihre zugrunde liegenden Technologien transparent dargelegt werden.
Aus Sicht des VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik entscheiden aktuell die Bereiche Mikroelektronik, KI und 5G über die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Der Staat müsse „technologisch starke Bereiche besser verteidigen und bei der Digitalisierung aufholen“.
Heutige Hard- und Softwaresysteme sind sehr komplex. „Derartig komplexe Systeme von Grund auf mit eigenen Ressourcen selbst aufzubauen, um die Technologie souverän kontrollieren zu können, wäre in mehreren Ressourcendimensionen nicht ökonomisch sinnvoll darstellbar“, meint der Digitalverband Bitkom1. Ein vielversprechender Ansatz aber bestehe darin, die technischen Kernfunktionen und ‑komponenten, die für die eigene Kontrolle der Systeme nötig sind, zu identifizieren und sie im Gesamtsystem modular und ersetzbar zu gestalten. Das könnten etwa kryptografische Funktionen und das zugehörige Schlüsselmanagement sein.
Bürger
Die besten Technologien nützen nichts, wenn die Anwender sie nicht verstehen und deshalb nicht nutzen. Daher müssen die Nutzer und ihre Bedürfnisse bei der Entwicklung von Technologien und Anwendungen in den Fokus gerückt werden. Zudem benötigen sie stete digitale Weiterbildung und digitale Aufklärung. Die im Juli 2020 von Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) angekündigte Bundeszentrale für Digitale Aufklärung kann hier einen guten Beitrag leisten.
Dass diese sinnvoll ist, zeigt der „D21-Digital-Index 2019 / 2020“2: Denn die meisten Befragten helfen sich bislang eher selbst, um ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im Bereich Digitalisierung und Computer auszubauen. Unverändert stellt „Learning by Doing“ die häufigste Form der Wissensaneignung dar. Laut Initiative D21 ist lebenslanges Lernen im 21. Jahrhundert der Schlüssel zu einer selbstbestimmten Gesellschaft und kann einer digitalen Spaltung vorbeugen.
Um die Digitalkompetenz der Bürger aber von vornherein zu erhöhen, sollte die Bildung schon im Kindesalter ansetzen. Das unterstreicht auch der CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski, Mitglied der Ausschüsse „Digitale Agenda“ sowie „Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung“:
Bürger sollten künftig digitaler denken. Wenn sie dazu fähig sind, dann können sie auch selbst darüber entscheiden, ob sie beispielsweise ihre personenbezogenen digitalen Daten an Dritte weitergeben möchten. Heute empfindet laut Initiative D21 noch die Mehrheit der Bevölkerung eine gewisse Ohnmacht, was die Hoheit über ihre Daten im Netz anbelangt. Hier könnte der Staat unterstützen, indem er die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen schafft, damit jeder Einzelne die Kontrolle über seine Daten auch tatsächlich ausüben kann.
Ausblick
Im anstehenden dritten und letzten Teil unserer Serie zeigen wir auf, in welchen Bereichen digitale Souveränität besonders wichtig ist und welche Rolle dabei etwa sichere digitale Identitäten spielen.
1 https://www.bitkom.org/sites/default/files/2020-01/200116_stellungnahme_digitale-souveranitat.pdf
2 https://initiatived21.de/app/uploads/2020/02/d21_index2019_2020.pdf